Zur Wirkweise von Medizinalcannabis
Das Endocannabinoidsystem (ECS) spielt bei der Wirkung der Cannabinoide im Körper eine tragende Rolle. Es handelt sich um ein evolutionär konserviertes Signalsystem, welches in allen Vertebraten vorkommt.1 Bestandteile des ECS sind die sogenannten CB1- und CB2- Rezeptoren, die endogenen Liganden, sowie deren wichtigste auf- und abbauende Enzyme.1 Als wichtigste Funktion des ECS gilt die Fähigkeit, eine Reduzierung aller überaktiven Neurotransmitter wie Dopamin, GABA, Glutamat, Serotonin oder Glycin zu regulieren.2 Es gibt Hinweise, dass bei verschiedenen Erkrankungen wie z. B. Schmerzen, Entzündungen, psychischen und neurodegenerativen Erkrankungen eine Dysregulierung des ECS vorliegt.1
Cannabinoidrezeptoren
Die Cannabinoidrezeptoren sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR) in der Membran der präsynaptischen Nervenzellen. Sie vermitteln nahezu alle Effekte, die durch endogene und exogene Cannabinoide ausgelöst werden.3
Beide Rezeptoren gleichen sich zu 44 % in ihrer Aminosäuresequenz und unterscheiden sich in ihrer Lokalisation.4 Betrachtet man die CB1-Rezeptoren genauer, so lässt sich feststellen, dass diese überwiegend an den Nervenzellen des zentralen und peripheren Nervensystems sitzen. Sie kommen auch in vielen Organen und Geweben vor – unter anderem Herz, Speicheldrüsen, Haut, Knochen, sowie der Magendarm- und Respirationstrakt.5 Die höchste Konzentration an CB1-Rezeptoren befindet sich dabei in den Basalganglien des Gehirns, wodurch Medizinalcannabis eine deutliche Wirkung auf den Bewegungsapparat haben kann. Auf die Kontrolle von lebenswichtigen Funktionen haben die Cannabinoide jedoch relativ wenig Einfluss, da sich nur eine vergleichsweise geringe Anzahl an CB1-Rezeptoren im Hirnstamm befindet.5 Die Aktivierung des CB1-Rezeptors kann eine psychotrope Wirkung auslösen – beim CB2-Rezeptor ist dies nicht der Fall.6 Die CB2-Rezeptoren befinden sich primär an den Zellen des Immunsystems und den Nervenzellen, einschließlich Astrocyten, Oligodendrocyten und Migroglia.4

Endocannabinoide
Die Endocannabinoide sind die endogenen Liganden der Cannabinoidrezeptoren. Die Derivate der Arachidonsäure werden an der Postsynapse aus Membranphospholipid-Vorgängern synthetisiert, wodurch eine enge räumliche und zeitliche Kontrolle möglich ist.1 Sie wirken unter anderem an den exzitatorischen und inhibitorischen Synapsen, wo sie sowohl langanhaltende als auch kurzzeitige Effekte vermitteln.1 Als bekannteste Endocannabinoide gelten zwar Anandamid und 2-Arachidonylglycerol (2-AG), doch mittlerweile wurden etwa 200 Anandamid-ähnliche Substanzen im Gehirn entdeckt.1 Anandamid erfüllt die Funktion eines partialen Agonisten der CB-Rezeptoren und bindet mit tendenziell höherer Affinität an CB1 als an CB2.1 In Bezug auf 2-AG konnte eine größere Wirksamkeit an CB-Rezeptoren bewiesen werden, als es bei Anandamid der Fall ist.1 Im Allgemeinen üben Endocannabinoide eine Vielzahl an physiologischen Funktionen im zentralen Nervensystem und den peripheren Organen und Geweben aus.
Die bekanntesten Endocannabinoide 7

Durch die Aktivierung der CB1-Rezeptoren wird also eine Überaktivität der Neurotransmitter Acetylcholin, Dopamin, γ-Aminobuttersäure (GABA), Histamin, Serotonin, Glycin, Glutamat und Noradrenalin verhindert und einer Überregung der Neuronen vorgebeugt.5 Als konkretes Beispiel bedeutet das:
- Wenn ein Ligand an die CB1-Rezeptoren bindet, wird zum Beispiel eine zu hohe Aktivität von Neurotransmittern im Brechzentrum gehemmt und die erhöhte emetische Aktivität reduziert.3
- Es kann eine Schmerzlinderung durch das Eindämmen von zu hoher Aktivität in den Schmerzregelkreisen des Gehirns erfolgen. Die Endocannabinoide haben somit eine Wirkung als „Schmerzdistanzierer“, was das ECS zum idealen Ziel für die Schmerztherapie macht.3
- Ähnliche Mechanismen sorgen dafür, dass ein erhöhter Muskeltonus, Angststörungen, Zwangsstörungen, ein Spasmus der Bronchien oder eine verstärkte Krampfneigung auf diese Weise gehemmt werden können.5
- Auch die gastrointestinalen Funktionen, das Knochenwachstum und biologische Prozesse der Haut sowie diverse Teile des Immunsystems werden durch die Endocannabinoide reguliert.5
Das Endocannabinoidsystem lässt sich dabei nicht nur durch Endo- sondern auch durch Phytocannabinoide wie ∆9-trans-Tetrahydrocannabinol (THC) oder Cannabidiol (CBD) modulieren. Das Verständnis der Regulationsmechanismen trägt an dieser Stelle wesentlich zu der erfolgreichen Anwendung von Phytocannabinoiden im medizinischen Kontext bei.5
Adaptiert nach Velasco G et al. (2012)8
2-AG: 2-Arachidonylglycerol; CB1/2: Cannabinoid-Rezeptor 1/2; CBD: Cannabidiol; ECS: Endocannabinoidsystem; GABA: γ-Aminobuttersäure; GPCR: G-Protein-gekoppelte Rezeptoren; THC: Δ9-trans-Tetrahydrocannabinol
Referenzen:
- Abramovici H, Lamour S-A, Mammen G. Information for Health Care Professionals. Cannabis (marihuana, marijuana) and the cannabinoids. Oktober 2018.
- Grotenhermen F, Häußermann K. Cannabis. Verordnungshilfe für Ärzte. 3. aktualisierte Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart. 2019.
- Castillo PE et al. Endocannabinoid signaling and synaptic function. Neuron 2012;76:70–81.
- Sarzi-Puttini P et al. Medical cannabis and cannabinoids in rheumatology: where are we now? Expert Rev Clin Immunol 2019;15(10):1019–1032.
- Grotenhermen F. (2016) Endogene Cannabinoide und das Endocannabinoidsystem. In: von Heyden M., Jungaberle H., Majić T. (eds) Handbuch Psychoaktive Substanzen. Springer Reference Psychologie. Springer, Berlin, Heidelberg.
- Grotenhermen F, Müller-Vahl K: The therapeutic potential of cannabis and cannabinoids. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(29–30):495–501.
- Sardinha J et al. Targeting the Endocannabinoid System to treat Sepsis. Signa Vitae 2013;8(1):9–14.
- Velasco G, Sánchez C, Guzmán M. Towards the use of cannabinoids as antitumour agents. Nature Rev Cancer 2012;12:436–444.










