Darreichungsformen von medizinischem Cannabis
Zur Therapie mit medizinischem Cannabis stehen sehr unterschiedliche Darreichungsformen zur Verfügung, die verschiedene Anwendungsformen mit sich bringen. Dadurch stehen zahlreiche Behandlungsoptionen bereit, aus denen individuell nach Symptomatik der Patienten ausgewählt werden kann. Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick über die möglichen Darreichungsformen. Weitere Infos zur Anwendung von Cannabisblüten und Vollextrakten finden Sie hier
Die nachfolgende Tabelle bietet Ihnen eine Übersicht über die Vor- und Nachteile der ausgeführten Darreichungsformen und zeigt ggf. weitere Besonderheiten auf.

* nicht in verblindeten Langzeitstudien berichtet
Neben den genannten Darreichungsformen stehen auch ölige CBD-Lösungen zur Verfügung, diese fallen jedoch nicht unter das Betäubungsmittelrecht und finden unter anderem beim Lennox-Gastaut-Syndrom Anwendung.8
ASS: Acetylsalicylsäure; ECS: Endocannabinoidsystem; Jhd: Jahrhundert; THC: Δ9-trans-Tetrahydrocannabinol
Referenzen:
1. Zaami S et al. Medical use of cannabis: Italian and European legislation. Eur Rev Med Pharm Sci 2018;22(4):1161–1167.
2. Häußermann K, Grotenhermen F, Milz E. Cannabis. Arbeitshilfe für die Apotheke. 2. aktualisierte Auflage. Deutscher Apothekerverlag, Stuttgart. 2018.
3. Bridgeman MB, Abazia DT. Medicinal Cannabis: History, Pharmacology, And Implications for the Acute Care Setting. P T 2017;42(3):180-188.
4. § 31 Abs. 6 SGB V.
Pharmakokinetik bei oraler und inhalativer Einnahme
Bei der Vielzahl der Darreichungsformen von medizinischem Cannabis ist zu beachten, dass sich die orale und die inhalative Einnahme durch ihre Anwendungsweise und Pharmakokinetik unterscheiden. Wird Cannabis inhaliert, tritt die Wirkung innerhalb von Sekunden bis wenigen Minuten ein. Bei oraler Einnahme verzögert sich der Wirkeintritt und es kann nach 30 bis 90 Minuten mit einer Wirkung gerechnet werden.9 Dafür ergibt sich nach einer oralen Einnahme eine lange Wirkdauer von 4 bis 8 Stunden, wohingegen die Wirkung nach Inhalation nur 2 bis 3 Stunden anhält.9
Bei oraler Aufnahme sollte außerdem berücksichtigt werden, dass THC ein sehr variables inter- und intraindividuelles pharmakokinetisches Profil aufweist, das ebenfalls stark von der Darreichungsform abhängt.10

Erstellt nach Grotenhermen F (2003)9
* Mittelwert von jeweils 6 Probanden
** Cannabis-Zigarette
*** Zeitpunkt Null entspricht erstem Zigarettenzug oder oraler Einnahme.
Die Wahl der Anwendungsweise eines Cannabisarzneimittels spielt aufgrund der unterschiedlichen Pharmakokinetik eine entscheidende Rolle. Sie kann vom Wunsch des Patienten, der Indikation und eventuellen Begleiterkrankungen abhängen.11 Eine inhalative Anwendungsweise kann besonders bei Akutereignissen wie Schmerzspitzen geeignet sein, bei chronischen Schmerzen hingegen kann der langanhaltende Effekt der oralen Aufnahme von Vorteil sein.12 In Einzelfällen kann sich auch eine Kombination aus oraler und inhalativer Anwendung als sinnvoll erweisen.11
Der Entourage-Effekt
Besonders die Cannabinoide THC und CBD stehen bei der Betrachtung von Cannabisarzneimitteln häufig im Vordergrund, zur vielfältigen therapeutischen Wirkung von medizinischem Cannabis tragen jedoch auch andere Pflanzenstoffe bei.1 Dieses komplexe Zusammenspiel der einzelnen Pflanzenstoffe aus der Cannabispflanze wird als Entourage-Effekt bezeichnet, bei dem sich die Inhaltsstoffe gegenseitig auf positive Art in ihrer Wirkung beeinflussen.1
Bei bestimmten Darreichungsformen (z. B. Vollextrakt und Blüten) kann man von diesem Effekt profitieren. Über 100 derzeit bekannte Cannabinoide entfalten ihre therapeutische Wirkung durch Interaktion mit dem Endocannabinoidsystem, dazu kommt die Wirkung von über 200 Terpenen.1,14 Darüber hinaus sind ca. 20 Flavonoide, also Pflanzenfarbstoffe und Antioxidantien mit therapeutisch vielfältiger Wirkung in medizinischem Cannabis enthalten.14

Terpene und ihre Wirkung
Terpene tragen mit ihrer therapeutisch vielfältigen Wirkung zum Entourage-Effekt bei und sind für das Aroma von Cannabis verantwortlich.1 Bei den Terpenen handelt es sich um eine sehr große Gruppe von Naturstoffen, die hauptsächlich in Pflanzen vorkommen. Ungefähr 8.000 Terpene wurden bereits beschrieben, über 40.000 Terpenoide sind bekannt. Ihre chemische Struktur leitet sich von Isopren ab.15
Terpene nehmen in der Pflanzenzelle die unterschiedlichsten Funktionen ein, die von Katalysatoren bei der Photosynthese und der Zellwandsynthese bis zur Hormonwirkung reichen.15 Einige Terpene werden bereits in der Medizin verwendet, so z. B. das Taxan Paclitaxel aus der pazifischen Eibe, das in der Chemotherapie bei Tumoren eingesetzt wird, oder Artemisinin aus dem einjährigen Beifuß, welches bei Malaria Anwendung findet.15
Auch andere Terpene sind Gegenstand der medizinischen Forschung, für α- und β-Pinen ist beispielsweise die anti-mikrobielle, anti-inflammatorische und anti-allergische Wirkung belegt.16 Die anti-inflammatorischen Effekte von Linalool konnten in einem Alzheimer-Mausmodell bei oraler Gabe klassische Kennzeichen der Erkrankung wie Störungen der emotionalen und kognitiven Funktionen wiederherstellen. Außerdem konnten pro-inflammatorische molekulare Marker durch die Einnahme von Linalool signifikant reduziert werden.17
11-OH-THC: 11-Hydroxy-THC; CBD: Cannabidiol; CBDV: Cannabidivarin; CBG: Cannabigerol; MS: Multiple Sklerose; SGB: Sozialgesetzbuch; THC: Δ9-trans-Tetrahydrocannabinol; THCV: Tetrahydrocannabivarin
Referenzen:
- Russo EB. Taming THC: potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects. Br J Pharmacol 2011;163:1344-1364.
- § 31 Abs. 6 SGB V.
- Häußermann K, Grotenhermen F, Milz E. Cannabis. Arbeitshilfe für die Apotheke. 2. aktualisierte Auflage. Deutscher Apothekerverlag, Stuttgart. 2018.
- Grotenhermen F, Häußermann K. Cannabis. Verordnungshilfe für Ärzte. 3. aktualisierte Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart. 2019.
- Aktuelle Fachinformation Canemes®, Stand Januar 2019.
- Aktuelle Fachinformation Sativex®, Stand März 2015.
- Bialas P et al. Cannabispräparate bei chronischen Schmerzen: Indikationen, Präparateauswahl, Wirksamkeit und Sicherheit. Erfahrungen der saarländischen Schmerztherapeuten. Schmerz 2019;33(5):399–406.
- Aktuelle Fachinformation Epidyolex®, Stand Juli 2020.
- Grotenhermen F. Pharmacokinetics and Pharmacodynamics of Cannabinoids. Clin Pharmacokinet 2003;42(4):327–360.
- Poyatos L, Pèrez-Acevedo AP, Papaseit E et al. Oral Administration of Cannabis and D-9-tetrahydrocannabinol (THC) Preparations: A Systematic Review. Medicina 2020;56(6):309.
- Müller-Vahl K, Grotenhermen F. Medizinisches Cannabis: Die wichtigsten Änderungen. Dtsch Arztebl International 2017:A352–356.
- Karst M, Häuser W. Blüten, Öle oder überhaupt nicht? Schmerzmedizin 2019;35(1).
- Huestis MA. Human Cannabinoid Pharmacokinetics. Chem Biodivers 2007;4(8):1770–1804.
- Andre CM, Hausman JF, Guerriero G. Cannabis sativa: The Plant of the Thousand and One Molecules. Front Plant Sci 2016;7:19.
- Jäger S, Scheffler A. Pharmakologie ausgewählter Terpene. Pharmazeutische Zeitung Ausgabe 22/2006, unter: www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-222006/pharmakologie-ausgewaehlter-terpene/(zuletzt aufgerufen März 2025).
- Salehi B, Upadhyay S, Orhan IE et al. Therapeutic Potential of a- and b-Pinene: A Miracle Gift of Nature. Biomolecules 2019;9(11):738.
- Sabogal-Guàqueta AM, Osorio E, Cardona-Gòmez GP. Linalool reverses neuropathological and behavioral impairments in old triple transgenic Alzheimer's mice. Neuropharmacology 2016;102:111–20.










