Erfahrungswerte in der Schmerzmedizin

Cannabinoide gewinnen auch in Deutschland zunehmend an Bedeutung für die schmerz- und palliativmedizinische Versorgung von schwerkranken Patienten. Obwohl die Gesetzlagedie klinische Forschung und den therapeutischen Einsatz lange Zeit erschwert hat, ist Medizinalcannabis in verschiedenen Formen (insbesondere Cannabisextrakte und Cannabisblüten) seit März 2017 verordnungsfähig.2

Uneinheitlich bleibt jedoch die medizinische und wissenschaftliche Kenntnislage zu den Anwendungsgebieten von Cannabis als Medizin. Verschiedene Studien  legen nahe, dass Cannabinoide chronische Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapiepatienten sowie Appetitlosigkeit und Spastiken bei Multipler Sklerose lindern können.3 Doch wie sehen die Erfahrungen in der klinischen Praxis aus? Hier lohnt sich ein Blick auf Länder wie Kanada oder Israel, die bereits seit längerem Erfahrungen in der Anwendung von Medizinalcannabis sammeln konnten.

Israel – ein „Zentrum“ der Cannabinoidforschung

Israel gilt als Pionier und Weltführer in der Erforschung und Anwendung von Cannabis für medizinische Zwecke – obwohl Cannabis aufgrund der „Convention on Narcotic Drugs“ auch in Israel immer noch als „gefährliche Substanz“ bewertet wird.4 Bereits im Jahr 1963 gelang es Raphael Mechoulam, aus Hunderten von Wirksubstanzen der Hanfpflanze Cannabidiol (CBD) zu isolieren. Die psychoaktive Komponente, Tetrahydrocannabinol (THC), entdeckte er ein Jahr später. Auch wenn in Israel die Erforschung des medizinischen Cannabis schon lange erlaubt ist, etablierte die Regierung erst 2013 eine Regulierungsbehörde – die Israel Medical Cannabis Agency (IMCA) – innerhalb des Gesundheitsministeriums. Hier wurden detaillierte Kriterien definiert und eine spezifizierte Indikationsliste für den erlaubten Einsatz von medizinischem Cannabis erstellt. Auch der Einsatz für weitere Indikationen ist möglich, wenn die Empfehlung eines Spezialisten vorliegt, insbesondere für den Fall, dass traditionelle Therapiemethoden bereits ausgeschöpft sind.1 

Bisher liegen nur wenige Studien vor, die persönliche Einstellungen und das Wissen von spezialisierten Ärzten zur klinischen Anwendung von Cannabis untersucht haben. Eine Studie der israelischen Wissenschaftler um Haggai Sharon (2018) legt den Fokus dabei auf Ärzte, die Erfahrung mit der Anwendung von medizinischem Cannabis haben und sich inhaltlich mit praktischen Fragen der Anwendung beschäftigen.2 Die Untersuchung von Sharon et al. beschreibt wichtige Erfahrungswerte aus dem Praxisalltag, von denen auch Ärzte hier in Deutschland profitieren können. 

Persönliche Erfahrungen und Haltung von Schmerzmedizinern gegenüber Medizinalcannabis4

Im Zeitraum von April bis Mai 2017 wurde eine anonymisierte Online-Befragung unter allen in Israel registrierten und aktiven Fachärzten für Schmerzmedizin (n = 79) durchgeführt. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, 18 Fragen aus 3 Themenbereichen zu beantworten, ihre persönliche Erfahrung mit Patienten unter Cannabis zu beschreiben sowie Einstellung und Ansichten zur Legalisierung von Cannabis im medizinischen Bereich zu dokumentieren. Die Beteiligung an der Umfrage war hoch, 50 Ärzte nahmen teil, das entspricht 64 % aller praktizierenden Schmerzspezialisten in Israel. Hier finden Sie die Ergebnisse der Studie: 

Die wichtigsten Studienergebnisse auf einen Blick4

Ergebnisse einer Umfrage unter Schmerzmedizinern zu Erfahrungswerten mit der Wirksamkeit und Verträglichkeit von medizinischem Cannabis

Aus Erfahrungen schöpfen und neue sammeln

In Deutschland wächst der Erfahrungsschatz im Umgang mit Medizinalcannabis zunehmend, doch oftmals ist Cannabis als Behandlungsoption noch nicht ausreichend präsent oder es bestehen Vorbehalte. Das deckt sich mit den Überlegungen der Wissenschaftler um Sharon et al. Diese schlussfolgern allerdings aus der Erfahrung vieler Schmerzmediziner, dass sich medizinisches Cannabis in der Praxis als effektive Therapieoption für viele Schmerzpatienten mit ausgereizter Therapie erweist. Sie plädieren deshalb für intensivere Forschung auf dem Gebiet und die Aufklärung über die mögliche Therapieoption.4 
 
Mit Hinblick auf die ersten positiven Erfahrungen wurden bereits Praxis-Leitlinien für die Verordnung von Cannabinoiden von mehreren medizinischen Fachgesellschaften erstellt. Unter anderem plädiert die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) für eine patientenzentrierte Herangehensweise im Umgang mit medizinischem Cannabis: symptomorientiert, nach Patientenpräferenzen und mit konkretem Nutzen für die Versorgung des Patienten. Mehr zu den Leitlinien erfahren Sie hier.

CBD: Cannabidiol; DGS: Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin; IMCA: Israel Medical Cannabis Agency; THC: Δ9-trans-Tetrahydrocannabinol

 

Referenzen:

  1. Internationale Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente, Steinheim. Zolotov, Y: Israel – Legal Landscape. Last Update: September 2018. Unter: www.cannabis-med.org/index.php (zuletzt aufgerufen November 2020).
  2. § 31 Abs. 6 SGB V.
  3. Whiting PF et al. Cannabinoids for Medical Use: A Systematic review and Meta-analysis. JAMA 2015;313:2456–2473.
  4. Sharon H, Goldway N, Goor-Aryeh I, Eisenberg E, Brill S. Personal experience and attitudes of pain medicine specialists in Israel regarding the medical use of cannabis for chronic pain. J Pain Res 2018;11:1411-1419.